Versagen die Notenbanken?
Verehrter Querdenker,
letzten Monat an dieser Stelle noch thematisiert und jetzt das: Aktien können tatsächlich auch noch fallen. Und sichere Bundesanleihen auch. Und so richtig geklingelt wurde an der Börse auch diesmal nicht. Auffällig war im Wesentlichen nur ein häufiger zu beobachtender Verkaufsdruck nachmittags zur Eröffnung der US-Börsen. Und eine zunehmende relative Stärke des US-Marktes versus dem DAX und EuroStoxx. Es bleibt dabei, die Ausländer machen unseren Markt. Aber: Handelt es sich nun um eine normale technische Korrektur mit zurück rotierendem Kapital über den großen Teich, oder mehr? Die Notenbanken bleiben im Mittelpunkt der Analysen.
Die generellen Kursentwicklungen der letzten Tage können nach den fulminanten Börsenbewegungen der letzten Monate ganz generell nicht überraschen. Eine technische Korrektur war und ist nicht nur im deutschen Aktienmarkt, sondern auch bei Bundesanleihen nach Erreichen der Nullzinsmarke bei 10-jährigen Anleihen sowie im sehr schwachen Euro normal. Bei letzterem waren schon länger rekordhohe Short-Positionen zu beobachten, die sich jetzt in einem deutlichen Kurssprungnach oben „entladen“. Dabei sind die Chancen einer nachhaltigen Stabilisierung auch vor dem Hintergrund der aktuell in Frage gestellten Zinssteigerungen der US-Notenbank in diesem Jahr zu sehen. Meine Einschätzung zum Jahresauftakt, dass der Euro entgegen der hohen Anzahl von Paritätsprognosen (und darunter) antizyklisch wohl eher Potential für eine Stabilisierung hat, könnte sich schon bestätigen.
Überraschend ist am ehesten die jüngste Schwäche am europäischen Rentenmarkt (vor allem bei Bunds), wo doch die EZB anscheinend alles aufkauft, was sich einsammeln lässt. Wie erklärt sich das? Zum einen dürfte sich mit Erreichen der psychologisch wichtigen 0%-Marke bei 10-jährigen Bunds bei diversen Anlegern „endlich“ ein gewisses Unbehagen über die weiteren Kurschancen von Anleihen eingestellt haben. Wenn der früher sehr erfolgreiche und einflussreiche „US-Bondkönig“ Bill Gross zur Spekulation gegen Bundesanleihen aufruft, dürfte dies seinen Teil dazu beigetragen haben. Fakt ist aber auch, dass der Markt für Bundesanleihen zunehmend austrocknet, was die Wahrscheinlichkeit steigender Schwankungen (= Risiken) deutlich erhöht. Alles schlechte Nachrichten für Besitzer sicherer Anleihen und auch konservativer Mischfonds, die ganz aktuell einen erneuten Warnschuss bekommen, weil die Kurse von Aktien und Anleihen gleichzeitig fallen.
Chart 1: Zusammenhang von Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum global

Quelle: C. Schmale; guidants.com
Im Mittelpunkt der weiteren Betrachtungen stehen zentral jedoch die Notenbanken. Die bekannten, historisch einmalig hohen Liquiditätsmaßnahmen können selbstverständlich kein immerwährendes perpetuum mobile sein. Es gilt hier – nicht nur als Anleger – die Kapitalmärkte laufend nach Anzeichen schwindenden Vertrauens in die Fähigkeiten von EZB & Co. zu überprüfen. Zuletzt wurde zwar schon einmal kurz an den Märkten andiskutiert (mit negativen Kursauswirkungen), ob die EZB nicht vielleicht schon vorzeitig aus dem 1,1- Billionen-Euro-Liquiditätsprogramm aussteigen könnte, wenn die Inflation schneller als erwartet anziehen sollte (siehe meine frühzeitige Überraschungsthese vom Oktober letzten Jahres). Dies trifft aber nicht den Kern der Überlegungen.
Wenn man sich nämlich einmal Chart 1 auf der vorherigen Seite anschaut, dann lässt sich hieraus ein bereits laufender struktureller Trend erkennen, der sich zukünftig fortsetzen und langfristig jede Notenbankmaßnahme an Grenzen führen könnte. Hier ist ein klarer Zusammenhang zwischen dem globalen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum erkennbar. Da sich ersteres auch zukünftig hochwahrscheinlich weiter verringern wird (siehe die bekannten demographischen Entwicklungen in diversen Teilen der industrialisierten Welt), wird dies nicht ohne Auswirkungen auf die globalen Wirtschaftswachstumsraten sein. Und damit auch auf die globalen Gewinnerwartungen und Aktienmärkte.
Mit anderen Worten: Wie lange können sich die Notenbanken mit ihren monetären Einflussmöglichkeiten gegen diesen strukturellen Trend stemmen? Gibt es andere Faktoren, die unterstützend oder weiter bremsend hierauf einwirken könnten? Spielt andererseits der Bezug zur Realwirtschaft an dieser Stelle überhaupt noch eine Rolle, wenn sich die Notenbanken mit ihrer Geldpolitik womöglich in eine „monetäre Parallelwelt“ bewegen, zunehmend abgekoppelt von der Realwirtschaft? Geht das überhaupt?
Für die nachhaltige Beantwortung dieser Fragen inklusive Lösungsansätzen wäre höchstwahrscheinlich der Wirtschaftsnobelpreis fällig. Trotz der schwierigen demographischen Entwicklungen gibt es dennoch Grund für Optimismus.
Zum einen in Form eines womöglich völlig unterschätzten technologischen Fortschritts in vielen zukunftsträchtigen Gebieten in den nächsten Jahren/Jahrzehnten (siehe meinen BQ-Beitrag vom Juni letzten Jahres).
Zum anderen muss der Faktor Zeit geschickt genutzt werden. Viele der ohne Zweifel gewaltigen Schuldenprobleme sind strukturell auf diese Weise zu lösen. Mit Anpassungs-schwierigkeiten, temporären Belastungen bestimmter Bevölkerungsgruppen und zwischenzeitlichen Verwerfungen an den Kapitalmärkten, hochwahrscheinlich. Es gibt mehrere Lösungswege, alle unbequem. Aber die Notenbanken werden bei aller berechtigter Kritik an der ausufernden Liquiditätspolitik eine entscheidende Rolle in diesem Anpassungsprozess spielen. Hoffen wir, dass die richtigen Leute mit der richtigen Kommunikationsstrategie und Entscheidungskompetenz zur richtigen Zeit zur Stelle sind.
Fazit: Weder durchgängiger Hurra-Optimismus noch Weltuntergangsszenarien sind an den Börsen angezeigt. Das Durchwurschtel-Szenario hat weiterhin die höchste Eintrittswahrscheinlichkeit.
In diesem Sinne,
always expect the unexpected!
Ihr Mathias Werner
Mehr unter: www.werner-ziemer.de