Expect the unexpected 2015 (II): Warten auf die Milchmädchen
Verehrter Querdenker,
13…15…20.000 oder doch nur 10.000? Nach der EZB-Entscheidung Ende Januar mehren sich jetzt sukzessive die sehr optimistischen DAX-Prognosen. Gleichzeitig bleiben die meisten Bankanalysten ihren konservativen Schätzungen vom Jahresanfang (noch) treu. Der durchschnittliche deutsche Privatanleger misstraut der Aktienhausse nach wie vor und setzt weiter mehrheitlich auf eine der schlechtesten Anlageklassen überhaupt – direkt oder indirekt, bewusst oder unbewusst. Zeit für eine kurze Analyse der wahrscheinlichen Auswirkungen des billionenschweren Liquiditätspakets der EZB auf die europäischen Kapitalmärkte.
Mit zweimonatiger Verspätung ist nun doch noch der zweite Teil meiner letztjährigen DAX-Überraschungsthese (Dax < 8.900 und > 11.500) in greifbarer Nähe. Mario Draghi sei es gedankt. Unsere diesjährige „Überraschung“ mit einem DAX bis 13.000 (versus Analystenkonsens von 10.600) ist mittlerweile fast schon überholt, nachdem sogar erste Sparkassen diese Marke jüngst in den Raum gestellt haben. Ohnehin gestaltete sich die Suche nach dem Unerwarteten Anfang 2015 angesichts heftiger Kursentwicklungen im Vorjahr schwerer als sonst, zumal sich erstmalig auch viele Medien mit Überraschungsprognosen für die Kapitalmärkte hervor getan haben. Querdenken scheint auf einmal en vogue zu sein. Unerwartet wäre vor diesem Hintergrund insofern eher das Eintreten des Erwarteten…!
Doch sollte man sich in der Analyse der Märkte nicht immer nur auf mögliche Überraschungseffekte fokussieren, sondern eben auch ganz nüchterne Fakten ins Kalkül ziehen. Wie -ganz vorneweg- die wichtigste Weichenstellung für die europäischen Kapitalmärkte auf absehbare Zeit: Das 1,2 Billionen-EUR-Paket der EZB bis Herbst 2016. Ein Liquiditätsschub, der gut 11% des Bruttosozialproduktes und der Geldmenge M3 in der Eurozone ausmacht – vergleichbar mit den Quantitative Easing-Maßnahmen in den USA und (zu gut 40%) mit denen in Japan. Und, wichtig: Mit Chance auf Verlängerung, wenn das Inflationsziel von 2% bis dahin nicht erreicht wird. Also 1,2 Billionen plus X.
Was heißt dies für die Märkte? Angesichts der ähnlichen Dimensionen bietet sich der Vergleich mit den Kapitalmarktbewegungen in den USA (und auch Japan) nach Beginn der dortigen QE-Programme an.
Chart 1: US Aktien und Zinsen seit 1960

Quelle: C. Schmale; guidants.com
In Chart 1 sind die Auswirkungen dieser Programme (grüne Phasen) auf US-Aktien und Anleihen zu erkennen. Fazit: Aktien profitierten mit kleinen Pausen während der gesamten Laufzeit mit bis zu 30% Kursgewinnen, trotz relativ hoher Bewertungen.
Am Rentenmarkt stellte sich nach einer kurzen Phase fallender Zinsen (-> Aufkauf US-Staatsanleihen!) ein steigendes Zinsniveau ein. Die Inflationsrate wurde nicht wirklich nach oben bewegt (sicher auch ölpreisbedingt). Der US Dollar hingegen schwächelte temporär bis zu -20%. In Japan lief / läuft es relativ ähnlich: Aktien +100%, Zinsen allerdings weiter gefallen (bei 220% Staatsverschuldung auch notwendig!), Inflation wegen MwSt-Anhebung hoch und Yen -50%.
Das passt in Summe durchaus zusammen und würde für Europa folgendes bedeuten:
1. Aktien +30%
2. Zinsen erst fallend, dann steigend
3. Inflationsrate anziehend bis +2%
4. Euro/$ -20%
Was ist seit der ursprünglichen EZB-Ankündigung im September 2014 bereits passiert?:
1. Eurostoxx50 + 12%
2. Zinsen -0,6%
3. Inflation -0,9%
4. Euro/$ -16%
Mithin wäre immer noch großes Aufwärtspotenzial für Aktien bis mindestens Herbst 16 zu erwarten. Mit anziehender Inflation (die realistische Überraschung für 2015!) wäre auch ein leichter Zinsanstieg denkbar, flankiert durch höhere Ölpreise. Der Euro hätte den größten Kursrutsch bereits hinter sich.
Zu einfache Analyse? Ja und nein.
Für den Aktienmarkt spricht die relativ günstigere Bewertung, hohe Dividendenrenditen und die anhaltende Abstinenz „finaler“ Käufer aus dem Privatkunden- und Finanzsektor (Versicherer / Pensionskassen). Die „Milchmädchenhausse“ steht definitiv noch aus, und es bleibt eine spannende Frage, unter welchen Bedingungen sie doch noch stattfindet. Denn gegen die 1:1-Übertragung der ausländischen QE-Erfahrungen spricht die Tatsache, dass dort Unternehmen (Aktienrückkäufe), Privatanleger und die Notenbank selber (in Japan) als starke Käufer am Aktienmarkt auftraten. Faktoren, die hierzulande eher (noch) fehlen. Die Überraschung lauert trotz negativer Aspekte aus Politik und Übersee m.E. dennoch auf der Oberseite.
Auf der Zinsseite kann man einerseits nicht ausschließen, dass sich die Irrwitzigkeit negativer Zinsen auch in langen Laufzeiten noch weiter ausbreitet: Verknapptes Angebot (dt. Schuldenbremse…) trifft auf hohe Nachfrage (EZB/regulatorisch getriebene Kapitalsammelstellen/klassische Zins- und Währungsspekulation von Ausländern). Ergebnis: 10jährige Bundesanleihen mit -1% und mehr Negativzins (!). Andererseits besteht bei den zurzeit stark gehypten Deflationsängsten und der klaren Aussage Draghis, die Inflation in jedem Fall hochbringen zu wollen, ein starkes Risiko für höhere Zinsen – oder, wenn nicht, für deutlich unter Null fallende Realzinsen, also: harte finanzielle Repression. Und das in absehbarer Zeit. Schon jetzt genügt ein Mini-Zinsanstieg von 0,2%, um ein typisches europäisches Staatsanleiheportfolio ins Minus zu drücken. Will man dieses zinskostende Risiko wirklich haben?
Für den Euro kann man langsam wieder etwas optimistischer werden. Die Überraschung liegt bei den vielen Paritätsprognosen (und darunter) womöglich doch auf der Oberseite. Und Öl? Vermutlich langweilig…
In diesem Sinne,
always expect the unexpected!
Ihr Mathias Werner
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